Marian Williams – blog:kaatibun movies and more

Februar 5, 2010

Zerstört der Tourist, was er sucht, indem er es findet!?

Filed under: Travel — Marian W @ 15:43
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Impressionen eines sight-seeing bus trips durch Marokko

1. Tag: von ad-Dār al-Bayḍā کازابلانکا bis ar-Rabāṭ الرباط

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Der Tourist, der keiner sein wollte, schaute beschämt zu Boden, unfähig einem Marokkaner, oder einer Marokkanerinnen, in die Augen zu schauen. Er wollte ihnen so gerne auf Augenhöhe begegnen und merkte doch, dass es nicht möglich war – nicht jetzt, nicht hier, nicht auf diese Weise. Sie konnten nur zu ihm aufschauen, d.h. zu seinem Geld, und gleichzeitig hinab auf diese einzige, hilflose touristische Überlegenheit.

Als er durch die Umgebung des Hotels schlenderte, wurde ihm die Rolle, die er hier in der Fremde spielte (zu spielen hatte, musste und nicht anders konnte) noch klarer, als schon tagsüber. Bus 1, Reihe 7, Sitz 25 – das war sein Platz; von dort aus konnte er seine Augen frei bewegen, geschützt durch eine Glasscheibe wie im Zoo; nur die sich ihm aufdrängende, an ihn drängende Frage: auf welcher Seite befand er sich er? Wer war hier das exotische Exponat?
Es gibt Menschen, die haben 2 swimming pools. Es gibt Menschen, die haben nichts als ihre Zufriedenheit„, sagte der Reiseleiter. Doch waren der Tourist und sein Geld Entwicklungs-Helfer oder Komplizen im Übergang zwischen den beiden? Und konnte man sich solche Glücks-Versprechungen universell denken ohne zum Kolonisator zu werden oder in Exotismus zu verfallen?
Er hatte immer gedacht, Stolz sei etwas überflüssiges, ein entbehrliches psychisches Konstrukt. Doch wenn man sonst nichts hat, bekommt dieser abstrakt-leere Begriff Stolz eine edle Färbung, und es tat dem Touristen weh, wenn er sah, wie sie das, was man einem Menschen angeblich nicht stehlen kann, seinetwegen, pathetisch gesprochen,verrieten“, d.h. verkauften, eintauschten gegen…gegen was eigentlich? Ein solches pathetisches Lamento ging dem Touristen durch den Kopf; er, der sich auch in der Fremde keinen Stolz auf seine Herkunft, also keine positive Heimat-Vorstellung erlaubte, freute sich über die kleinen Authentizitäten (oder das was er dafür halten konnte) zwischen den zwei Extremen der unterwerfenden Anpassung: Nachahmung oder Erfüllung der Klischees. Beide hatte er erwartet und beide hatte er heute schon beobachtet:

Die Industrie-Viertel von Casablanca – ad-Dār al-Bayḍā کازابلانکا (eine Lehn-Übersetzung aus dem Portugiesischen) – standen dem durch die Magie des Kinos erzeugten Klischee des gleichnamigen Films diametral gegenüber. MAN, SUZUKI & LEXUS im Casablanca Techno Park und mittendrin das Café Rick: wohl eher Imitation als Vorlage [nach der Rückkehr keine Überraschung: „Opened March 1, 2004, the place was designed to recreate the bar made famous by … the movie classic Casablanca. (…) finally bringing the legendary “Gin Joint” of cinema fame to life in today’s Casablanca„, weiß sogar Wikipedia.]

Die vielen Autos vor ماكدونالدز (McDonald’s) stimmten ihn traurig; nicht weil er fand, dass die Besitzer hier falsch seien, sondern weil ihn für einen Moment die Vorstellung befiel, dass er nur hier Einheimische finden würde, die ihrerseits auf der Suche waren und sich im Amerikanischen Traum zu finden glaubten, während seine Suche ihn nur in die vorgefertigten Repräsentationen führen würde, die er so unbedingt meiden wollte. Doch im Alltag löste sich dieser Gegensatz im Nichts auf – Identität konstruiert sich erst, wenn man sie zu erfassen sucht; sie ist nur im Gegensatz zu einer anderen wirklich, könnte man sagen; für den Touristen ein beruhigender, befreiender Relativismus.

Maakdounaaldz

Die Einheitlichkeit einer kulturellen Identität verlor sich zwischen zwei Polen: Auf der einen Seite die (als kulturelle Überformung wahrgenommenen) كوكا كولا (Coca Cola) & بيبسي (Pepsi) -Plakate in arabischen Lettern & Werbungen für den LG Scarlet LCD flat screen; auf der anderen die scheinbar nicht-kultivierte („reine“,“unverfälschte“, „echte„, „natürliche„) Welt aus dem Reise-Prospekt, mit dem Label Orient versehen, mit bunten Blumen-Feldern (noch üppiger als erwartet, in Orange & Gelb) & unzähligen Palmen. In diesem 2. Konzept waren die Menschen nur Objekte, waren auf eine fast paradiesische Art Teil ihrer Umwelt, Teil der Natur – und befriedigten damit eine der grundlegenden Sehnsüchte des Touristen: den rousseau’schen Mythos des back to nature, der Einheit mit der Welt; für eine Woche dabei zuzusehen, dafür lohnte es sich die „Strapazen“ einer „Kultur-Reise“ auf sich zu nehmen. Die Störche als tierische Nomaden waren dabei das natürliche Äquivalent zum menschlichen Touristen und erklärten seine Grenzziehungen und seinen Exotismus für lächerlich.

Doch auch der Politik in der Retrospektive der Historie konnte unter dem architektonischen Stil-Mantel heute keine Abgrenzung gelingen: Die changing of the guards Zeremonie vor den verschwenderisch-großen Palästen birgt überall den gleichen Gegensatz zu den Hütten , die der Tourist vom Flugzeug – aus der Storch-Perspektive – inmitten grüner Felder sah.

Gern hätte sich der Tourist in der مدينة (Medina) von Rabat verlaufen, doch blieb ihm keine Zei, die ausgetretene Hauptstraße zu verlassen und weiter in die Ruhe der Seitengassen zwischen den blauen Häusern einzutauchen. So blieb ihm nur die Ahnung (oder Illusion), dass hinter der Fassade der shops, wenn schon keine Wahrheit, so wenigstens die Möglichkeit wartete, sich beim Verirren für den Moment selbst zu finden; und die Demut, den jungen Wilden“ auf ihren Mopeds Platz zu machen auf ihrer Straße – und die Scham, wenn er seinen Kodak moment hinter sich gebracht hatte.

Die Hup-Konzerte der Nacht drangen in sein Ohr und ließen ihn Lebendigkeit spüren.


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2. Tag: von ar-Rabāṭ الرباط bis Fās ‏فاس‎

Der Tourist, der keiner sein wollte, drückte auf den Auslöser. Wieder und wieder, solange bis er sein Motiv in eine ästhetische 2-Dimensionalität umgewandelt hatte. Er fragte sich, wie Reisen ohne Fotografie sich wohl anfühlt.

„Foto-Stop“ war für ihn heute zum Reizwort geworden. 3 Mal war Bus 1 heute zu diesem Zwecke von seinem Fahrer Muhammad angehalten worden; jeweils 5 min. an einem „Aussichts-Punkt“ für Panorama-Fotos. Die Freiheit des Blicks erschöpfte sich in der Brennweite des Objektivs, 18-55 Millimeter Freiheit jeweils vor und hinter dem Bus. (Aber das war allemal besser als die 8 Millimeter einer Waffe, die frühere Generationen bei ihren Reisen mitnahmen. Die Haltung ist allerdings ähnlich, wie Susan Sontag bemerkt hat; Wildtier-Safari oder Foto-Safari, nur eine weniger tödliche Form der Macht-Demonstration.)

Die Überschwemmungen seien doch aber auch schön anzuschauen, bemerkte 2 Reihen weiter hinten jemand, wie als ob die Natur gar nicht hässlich sein könne und der ästhetische Wert allgemeingültig und der einzig-wahre sei.

Während er aus dem Bus schaute, der mittlerweile wieder mit allen Insassen befüllt worden war, fiel ihm das Nacht-Programm eines TV-Senders zu Hause ein: „Deutschlands schönste Bahnstrecken“, Zugfahrten aus der Ego-Perspektive, ungeschnitten, um die unsägliche Lücke zwischen der letzten und der ersten Sendung zu füllen – auch eine Form des Reisens.

Der Tourismus war in seinen Augen generell durch Segmentierung, Neu-Proportionierung und Filterung des Präsentierten gekennzeichnet; aber wieviel Fiktion braucht es eigentlich für manche, um die Fiktionalisierung zu bemerken?

T. kamen auch Fragen in den Sinn über die Vermittler, ihre Intentionen und ihre Macht und Möglichkeiten in diesem Diskurs um die Repräsentation eines Landes, eines Volks – während er auf der Hauptstraße von Moulay Idriss, dem 12 000 Einwohner Wallfahrt-Ort (nicht nur für touristische Wallfahrten) zwischen Meknès und Fes, Richtung Bus eilte und die Seitengassen wehmütig mit seinen Augen entlangging. Hier war der synästhetische Eindruck durch Obst-, Fleisch- & Knoblauch-Geruch ergänzt worden und hätte er statt seinem Basecap eine Tarnkappe getragen, er hätte den Weg durch die Verkaufsstraßen sehr genossen. Es heißt ja, dass Gerüche im Unterschied zu anderen Sinnes-Eindrücken direkt vom Gefühls-Zentrum des Gehirns aufgenommen werden, vielleicht war ja das die Möglichkeit einer wahren Empfindung: Die olfaktorische Authentizität als die einzig mögliche.

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