Salman Rushdie ist vor allem für ein Buch bekannt: “Die Satanischen Verse” brachten ihm 1989 Blasphemie-Vorwürfe, ein Millionen-Kopfgeld und ein Leben im Untergrund ein. Übersetzer wurden ermordet und die Meinungsfreiheit so heftig diskutiert wie selten. Rushdie hatte allerdings schon Anfang der 80er Jahre einen allseits beachteten Roman namens “Mitternachtskinder” geschrieben. Dieser wurde nun von der kanadisch-indischen Regisseurin Deepa Mehta verfilmt.
Die Geschichte setzt nach einer Vorgeschichte der Familie mit der Unabhängigkeit Indiens im August 1947 ein. Das ist auch das große Thema von Rushdies postkolonialem Klassiker: Die Verbindung einer Familiengeschichte als exemplarische Geschichte des Landes, erzählt im Stil des magischen Realismus. Die Hauptfigur Saleem kommt nämlich exakt um Mitternacht, zur Geburtsstunde des neuen Landes, auf die Welt. Damit gehört er zu einer auserwählten Gruppe von Kindern, die besondere fantastische Fähigkeiten besitzen. Genau gleichzeitig mit ihm wird allerdings noch ein zweiter Junge namens Shiva geboren. Die beiden werden im Kreißsaal von einer christlichen Schwester vertauscht. Saleem wächst als Sohn einer reichen muslimischen Familie auf, Shiva als Sohn eines bettelarmen Hindu. Ihr beider Schicksal verknüpft sich in Folge mit dem des indischen Subkontinents, der bald darauf in Indien und Pakistan, und später Bangladesh zerbricht.
Deepa Mehta versucht sowohl die Komplexität der Geschichte als auch ihre humorvolle Magie ins Filmische zu übersetzen. Bis zu einem gewissen Grad gelingt ihr das auch. Der Umfang und die schiere Zahl der Figuren ist jedoch eine Herausforderung, die der Film trotz der Länge von 146 Minuten nicht gänzlich in den Griff bekommt – zumindest für westliche Maßstäbe. Der Film orientiert sich nämlich durchaus auch an Bollywood mit seinen prallgefüllten Großproduktionen, in denen alle Genres bunt durcheinanderwirbeln und die dick aufgetragenden Emotionen im Vordergrund stehen. “Mitternachtskinder” ist ein Hybrid-Film, der mit seinem moderaten Kitschfaktor die Kulturgrenzen überwindet. So gibt es zwar viel Musik, aber keine wirklichen Musical-Szenen, viel Action und Romantik, die aber nicht bis zur Lächerlichkeit übersteigert werden, und durch die politische Thematik hat der Film durchaus eine gewisse Ernsthaftigkeit. Wer genügend Sitzleder mitbringt, bekommt ein buntes, schnell und humorvoll erzähltes Indien-Epos serviert.
[erschienen in Die Dolomiten, Print-Ausgabe vom 4.4.2013]